Rollstuhlsymbol. Der Reifen des Rollstuhl ist eine Leiterplatte.

Perspektivwechsel: Digitale Barrierefreiheit und Menschen mit Körperbehinderung

Miriam dos Santos Coelho
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Miriam dos Santos Coelho
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Welche Barrieren gibt es für körperbehinderte Menschen in Dokumenten? Worauf sollte man achten, um auch für Personen, die mit körperlichen Bewegungseinschränkungen durch Dokumente und Webseiten navigieren, alle Inhalte zugänglich zu machen?

"Dokumentbarrierefreiheit ist nicht nur für blinde Menschen essenziell"

Im Gespräch mit Gerhard Nussbaum, dem technischen Leiter und stellvertretenden Geschäftsführer des Kompetenznetzwerks Informationstechnologie zur Förderung der Integration von Menschen mit Behinderungen, wird klar: Dokument-Barrierefreiheit ist nicht nur für blinde Menschen gedacht. Auch wenn oftmals nur blinde oder sehbehinderte Menschen als Zielgruppe genannt werden, betrifft das Thema zum Beispiel auch körperbehinderte Personen, also Menschen mit körperlichen Bewegungseinschränkungen in unterschiedlichen Erscheinungsformen und Schweregraden. Gerhard Nussbaum räumt zwar ein, dass „[…] vor allem blinde Personen natürlich am meisten von der Barrierefreiheit profitieren“. Dennoch ist die Wichtigkeit der Dokument-Barrierefreiheit für Menschen mit anderweitigen Behinderungen nicht zu unterschätzen.

Im Gespräch mit Gerhard Nussbaum sind uns vor allem 3 Aspekte der digitalen Barrierefreiheit im Bezug auf Menschen mit Körperbehinderung im Gedächtnis geblieben.

Tastaturbedienbarkeit

Die Bedienbarkeit durch die Tastatur (im Gegensatz zur Bedienung mit der Maus) ist oftmals eine Grundvoraussetzung, die es vielen körperbehinderten Menschen erst ermöglicht, durch eine Webseite zu navigieren oder ein Formular auszufüllen. 
Manchmal kommt es jedoch vor, dass Drop-Down-Menüs auf Webseiten nur mit dem sogenannten „Mouse Over“ funktionieren. Das heißt, dass sich der jeweilige Menüpunkt nur öffnet, wenn die Maus auf das passende Element gestellt wird. Für Menschen, die Webseiten nur per Tastatur bedienen, ist der Inhalt somit nicht zugänglich. Sie werden ausgeschlossen. 
Außerdem muss sichergestellt werden, dass z.B. Buttons nicht ausschließlich auf Mausklicks reagieren, sondern auch auf eine andere Art auswählbar sein müssen.

Tab-Reihenfolge

Das Ausfüllen von Formularen ist oftmals eine Hürde für körperbehinderte Menschen. Dabei spielt die Tab-Reihenfolge eine große Rolle. Das heißt, dass durch die Tab-Taste von einem Element zum nächsten gesprungen werden kann – und zwar in der richtigen Reihenfolge. Denn was viele nicht wissen: Erstellt man Formularfelder in Acrobat, dann spiegelt die Tab-Reihenfolge die Reihenfolge wieder, in der die Formularfelder angelegt wurden. Das heißt, dass bei der Erstellung des Formulars darauf geachtet werden muss, in welcher Reihenfolge die Formularfelder angelegt werden. Falls doch etwas vergessen wurde und ein Formularfeld später hinzugefügt wird, dann kann die Tab-Reihenfolge im Tab-Index im Nachhinein angepasst werden. Aber man muss eben daran denken und darf nicht davon ausgehen, dass die Reihenfolge schon richtig ist, nur weil das Element optisch am richtigen Ort im Dokument ist.

Zeit-Constraints

„Tippe mal mit dem On-Screen Keyboard eine bestimmte Zahlenreihenfolge oder ein bestimmtes Wort ein. Du merkst schnell: Da kommt man vielleicht auf einen Buchstabe oder eine Ziffer pro Sekunde.“ Fordert mich Gerhard Nussbaum in unserem Gespräch auf. So kann man sich schnell in eine Person hineinversetzen, die z.B. per Headtracking System oder Headmouse durch Dokumente oder Webseiten navigiert, also mit einer per Kopf erfolgten Steuerung. Dadurch wird außerdem deutlich: Zeit-Constraints können Menschen ausschließen. „Gebe diese Zahlenreihenfolge in 15 Sekunden ein, um dich zu authentifizieren“ – das ist nicht für alle möglich.

Fazit

Digitale Barrierefreiheit geht über den Fakt hinaus, dass Inhalte für Screenreader vorlesbar gemacht werden. Es gibt diverse Arten von Behinderungen, die unterschiedlichste Hilfsmittel bedürfen. Die Lösung: Barrierefreie PDF-Dokument nach PDF/UA bzw. WCAG 2.2-Standard. Mit Dokumenten, die diese Standards erfüllen, können alle assistierenden Technologien umgehen. Somit haben alle Menschen Zugang zu deinen Inhalten.

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